Ute Latendorf - Dichterin, Schriftstellerin und Fotografin
Ute Latendorf - Dichterin, Schriftstellerin und Fotografin
(c) Ute Latendorf

1. Leben lernen

Von der Sonne lernen zu wärmen,

von den Wolken lernen, leicht zu schweben, 

von dem Wind lernen, Anstöße zu geben,

von den Vögeln lernen, Höhe zu gewinnen,

von den Bäumen lernen, standhaft zu sein.

 

Von den Blumen das Leuchten lernen,

von den Steinen das Bleiben lernen,

von den Büschen im Frühling Erneuerung lernen, 

von den Blättern im Herbst das Fallenlassen lernen,

vom Sturm die Leidenschaft lernen.

 

Vom Regen lernen, sich zu verströmen, 

von der Erde lernen, mütterlich zu sein,

vom Mond lernen, sich zu verändern,

von den Sternen lernen, einer von vielen zu sein,

von den Jahreszeiten lernen,

dass das Leben immer wieder von neuem beginnt...

 

2. Angekommen

Nicht gesucht und doch gefunden,

nichts erwartet und so viel bekommen,

nicht festgehalten und doch gewonnen,

nicht gefragt und doch Antwort erhalten,

nicht losgegangen und doch angekommen...

 

3. Da sein und nah sein

Da sein und nah sein,

nehmen und geben,

froh sein und dankbar

und mitten im Leben.

 

Hier sein und dort sein

auf sonnigen Wegen,

behütet, geborgen

durch Gnade und Segen.

 

4. Die Tür zum Leben

Die Tür zum Leben steht weit offen,

geh hindurch und warte nicht,

hinter dir sind schwarze Schatten,

vor dir glänzt das Sonnenlicht.

 

Lass den Regen auf dich regnen,

spür die Sonne auf der Haut,

hör die Amsel auf dem Dache,

wie sie singt, so froh und laut.

 

Reich der Liebe deine Hände,

lass geschehen, was geschieht,

wage dich hinaus ins Leben,

sei kein Narr, der zagt und flieht.

 

5. Es gibt Orte

Es gibt Orte, die sind voller Schönheit und Licht,

es gibt Orte, da hört man, wie Gott zu uns spricht.

 

Es gibt Orte, da werden wir ehrlich und gut,

es gibt Orte, da verwandelt unsere Angst sich in Mut.

 

Da sind Bäume und Büsche, und der Himmel ist groß,

und wir atmen und träumen, und der Schmerz lässt uns los.

 

Da sind Blumen und Kreuze, da bin ich, da bist du.

Dort finden wir Frieden und zur ewigen Ruh.

 

6. Hoffnungszeichen

Jemand zeigt mir eine zerrupfte Amsel,

die saß auf einer Eisenstange und sang.

Was sonst, wenn nicht dieses, sollte mich fröhlich machen?

 

Eine schmutzige Katze in der Nähe des Hauptbahnhofs.

Ich streichelte sie und behielt ein Gefühl

von Zärtlichkeit in meinen Fingerspitzen.

 

In der Hektik meines Alltags,

auf dem Weg zwischen zwei Terminen,

lächelte ein Kind mich an,

da verlangsamte ich meine Schritte,

konnte wieder frei atmen und freute mich.

 

7. Ich denk an dich

Ich denk an dich, ich bin dir gut,

ich wünsch dir Freude, Kraft und Mut.

 

Ich denk an dich von fern und nah,

wenn du mich brauchst, dann bin ich da.

 

Ich denk an dich bei Nacht und Tag,

von früh bis spät, weil ich dich mag.

 

Ich denk an dich und wünsche mir,

du stündest lächelnd neben mir.

 

8. Kommen und gehen

Kommen und gehen, sitzen und stehen,

alles ertragen, Wichtiges sagen,

halten und lassen, schenken und fassen,

schlafen und wachen, ausruhn und machen,

klagen und danken, fest sein und schwanken,

antworten, fragen, stark sein und zagen,

weinen und lachen und Fehler machen,

Mensch sein und leben, nach Höherem streben,

Angst überwinden, die Liebe verkünden,

bitten und loben, den Herrgott dort droben...

 

9. Leicht werden

Leicht werden und frei

wie ein Vogel am Himmel,

wie ein Schmetterling über den Blüten,

wie eine Feder im Wind.

 

Ballast abwerfen, Ketten zerreißen,

Planungen aufgeben,

sich hingeben dem Augenblick,

abwarten und zulassen.

 

An Gewicht verlieren,

nichts Besonderes tun,

sich anrühren lassen,

ins Leben lächeln,

sich selbst verlieren

und gefunden werden...

 

10. Losgehen

Losgehen mitten im Winter,

mit müden Beinen und ängstlichem Herzen.

 

Losgehen, weil da ein Weg ist,

der zum Gehen einlädt.

 

Losgehen, ohne sich umzusehen nach Vertrautem,

Gewohnheiten ablegen, bedürfnislos werden.

 

Losgehen und während des Gehens die alte, enge Haut abstreifen,

Verkrustungen aufbrechen und sich verändern lassen...

 

11. Wunschlos glücklich

Wunschlos glücklich sein,

nicht anderes mehr ersehnen als dies:

 

still dazusitzen unter blauem Himmel,

das Gesicht der Sonne zugewandt,

mit geschlossenen Augen,

Vogelgezwitscher ringsum in den Bäumen,

alle Poren weit geöffnet,

sich bis ins Innerste von der Wärme durchdringen zu lassen,

passiv und doch so lebendig,

hingegeben an den Augenblick,

ganz und gar einverstanden mit dem Leben,

 

wunschlos glücklich sein,

nichts anderes mehr ersehnen als dies...

 

12. Eigene Instrumente spielen

Es macht keinen Sinn, nach den Anderen zu schielen,

wir müssen unsere eigenen Instrumente spielen.

 

Wir können nicht in Schuhen von Anderen gehen,

nur dort, wo wir hinpassen, sind wir zu sehen.

 

Jeder ist anders, das ist so im Leben.

Wir müssen nach eigener Vollendung streben.

 

13. Aufgestanden

Ich bin noch immer wieder aufgestanden,

so oft ich auch gelegen hab,

ich hatte immer wieder eine Freude,

so oft es einen Kummer gab.

 

Ich hab noch immer wieder lachen können

und war doch oft den Tränen nah,

ich spürte immer wieder Morgensonne,

so oft ich nur das Dunkel sah.

 

Ich habe immer wieder lieben können,

so oft mein Herz erkaltet war,

ich fand das Leben immer wieder,

nach wilden Stürmen wunderbar.

 

14. Es muss eine Straße geben

Es muss eine Straße geben,

die vorbei führt an meinem Haus,

dann könnte ich, wenn ich wollte,

tagtäglich ins Leben hinaus.

 

Ich könnte kommen und gehen

und bleiben und irgendwo stehn

und das Kommen und Gehen der Menschen

von meinem Fenster aus sehn.

 

Ich bin wohl zu mutlos gewesen,

sonst wär ich schon längst nicht mehr hier,

doch die Forderungen von anderen

hängen wir Ketten an mir.

 

Es soll viele Straßen gehen,

die schön sind und die ich nie ging,

jetzt fühl ich ein drängendes Sehnen

wie des Lebens heimlichen Wink.

 

Ich werde eine Straße finden

und vielleicht auch ein anderes Haus,

mit Rucksack und Wanderstiefeln

zieh ich suchend ins Leben hinaus.

 

15. Fülle des Lebens

Fülle erleben, in Farben und Düften baden,

es sich gut gehen lassen, sehr gut gehen lassen,

das Leben genießen, sich das Beste heraussuchen,

glücklich sein, lachen und jubeln,

den Winter vergessen, sich über den Sommer freuen

und über die blühenden Blumen,

selber blühen wollen, wachsen wollen,

gedeihen wollen, groß und schön werden wollen,

alles überstrahlen wollen, die Welt umarmen,

Liebe geben, Liebe empfangen,

im Überfluss leben, jeden Augenblick genießen,

ganz bei sich selbst sein und ganz bei den anderen,

sich alles zutrauen, alles möglich machen,

leicht werden

 

abheben!

 

16. Neu wieder leben

Ich möchte jetzt neu wieder leben,

in mir soll es jauchzen und beben,

ich will neue Träume mir weben,

zum Himmel hinauf will ich streben,

und bleibst du am Erdboden kleben,

ich stelle mich nicht mehr daneben,

will gern meine Hände dir geben,

dann kannst du dich mit mir erheben

 

zum großen, zum herrlichen Leben!

 

17. Provence

So ein Abend, so ein Singen! Und der Mond zum Greifen nah!

Ach, ich bin in einem Lande, wo ich vorher noch nicht war.

 

Holunderblüten duften und goldener Ginster am Hang,

und Mohnblüten leuchten mir üppig am Feld und die Straße entlang.

 

Lavendel blüht schon im Tale, und Kirschen hängen im Baum,

und jedes neue Erwachen zeigt er ist wahr, dieser Traum.

 

Vom nahe gelegenen Teiche klingt das Quaken der Frösche her,

und die Nachtigall singt ihre Lieder, so fern und so süß und so schwer.

 

Und ich sammle Tage wir Perlen in meiner geöffneten Hand

und fühle ein Jauchzen im Herzen, wie ich es lang nicht gekannt.

 

Die Düfte! Die Töne! Die Farben! Es ist wie ein Rausch, so schön.

Ich möchte in kommenden Jahren erneut die Provence wieder sehn.

 

18. Sommerbrise

Eine kleine Sommerbrise traf mich,

als ich traurig war,

wie ein zartes, wehes Glück.

 

Ach, der Windhauch ging vorüber,

doch mein Herz erträumt sich

jenen Augenblick zurück.

 

19. Sonntagmorgen

Ich erwache vom Gebell des kleinen Hundes von nebenan,

ich kleide mich an beim Zwitschern der Vögeln,

ich frühstücke mit Vivaldi,

ich trete auf meine Balkon zum Läuten der Kirchenglocken.

 

So viel liebliche Musik!

Wie sollte ich da nicht fröhlich sein?

 

20. Und ob

Und ob ich fahre und ob ich geh

und ob ich vor Tränen meinen Weg nicht mehr seh

- solange am Straßenrand Löwenzahn blühn

und über mir Schwärme von Seevögeln ziehn,

 

solange das Blöken der Lämmer her dringt

und beruhigend die Antwort der Schafmütter klingt,

solange der Fluss friedlich neben mir fließt

und der Himmel, wie ich, warme Tränen vergießt,

 

solang sie versiegen und der Wind sich noch dreht

und die Sonne wärmend am Maihimmel steht,

solange lebe ich noch, wie ich atme und staune

und rieche und schmecke und fühle und träume,

 

und beklage mein Joch und ertrage es doch...

 

21. Fragen, Fragen, Fragen

Fragen, Fragen, Fragen 

und nur die Ahnung einer Antwort

 

im Lied einer Amsel,

in einem Kinderlachen,

im Rauschen des Meeres,

in der Stille einer Kirche,

im Licht der untergehenden Sonne,

in einem fallenden Blatt,

im Einklang zweier Seelen...

 

22. Das Leben ist nicht schwarz und weiß

Das Leben ist nicht schwarz und weiß,

es ist ein bisschen bunter,

das Leben ist ein Hin und Her

und auch ein Rauf und Runter.

 

Das Leben ist ein Würfelspiel,

man kann nicht nur gewinnen,

doch kann man, wenn man mal verliert,

das Spiel ja neu beginnen.

 

Es bleibt nicht alles, wie es war,

du musst dich dran gewöhnen,

finde dich mit den Regeln ab

und höre auf zu stöhnen.

 

Das Leben ist ein Ping-Pong-Spiel,

der Ball springt auf und nieder,

wenn du ihn triffst, dann ist es gut,

doch du verlierst ihn wieder.

 

Das Leben hat für dich und mich

so viele Fragezeichen,

die Schulden, die wir aufgetürmt,

wird Gott für uns begleichen.

 

23. Alles auf Erden (nach Prediger 3.1-8)

Alles auf Erden hat Anfang und Ende,

hat seine Zeit, die auch wieder vergeht.

Alles, was Atem hat, hat seine Stunde,

hat seinen Sinn wie ein großes Gebet.

 

Wir werden geboren, wir leben und sterben,

wir hassen und lieben und fürchten uns auch.

Wir weinen und lachen und suchen und finden,

sind groß und sind winzig, ein Sturm und ein Hauch.

 

Wir sind die Verlierer und sind die Gewinner,

wir reden und schweigen, sind leise und laut.

Wir pflanzen und säen, sind friedlich und heiter

und töten, zerstören, was grad wir gebaut.

 

Wir sind voller Hoffnung und sind voller Zweifel,

sind zaghaft und mutig, am Tage bei Nacht.

Wir trauern und klagen, sind glücklich und danken,

verlangen, entsagen, sind stürmisch und sacht.

 

Alles auf Erden hat Anfang und Ende,

hat seine Zeit, die auch wieder vergeht.

Alles, was Atem hat, hat seine Stunde,

hat seinen Sinn wie ein großes Gebet.

 

24. Fragen

Fragen, Fragen, Fragen...

Und nur die Ahnung einer Antwort

 

im Lied einer Amsel,

in einem Kinderlachen,

im Rauschen des Meeres,

in der Stille einer Kirche,

im Licht der untergehenden Sonne,

in einem fallenden Blatt,

im Einklang zweier Seelen...

 

25. Mein kleiner Balkon

Mein Balkon hat einen Grasteppich,

einen Blumenkasten

und ein Vogelhäuschen.

Er ist zu klein

un zu zweit darauf zu sitzen

und zu frühstücken,

aber mittags

schein die Sonne

auf meinen Balkon,

und nachts 

kann ich von dort aus

die Sterne sehen...

 

26. Selbsterkenntnis

Ich bin kein freifliegender Vogel
und auch keine behäbige Kuh.
Ich habe ein bisschen von beiden
und noch etwas anderes dazu.

 

Ich bin nicht so mutig wie der da
und nicht so locker wie die.
Aber so spießig und ängstlich wie jene
und langweilig war ich noch nie.

 

Ich werde wohl niemals ein Schloss baun,

dafür reichen die Steine mir nicht.
Doch ich will eine ganz kleine Birke pflanzen,
die wächst dann und hebt sich zum Licht.

 

Ich bin keine Märchenprinzessin,
doch ich hocke auch nicht hinterm Herd.
Ich krieche nicht wie eine Schnecke,
aber reite auch kein wildes Pferd.

 

Ich stehe an gar keiner Spitze,
aber treten kann niemand auf mich.
Ich bin wie andere und ich bin nicht wie sie,
ich bin wohl am ehesten ich.

 

27. Stehaufmännchen

Wie oft bin ich schon hingefallen
und habe da gelegen
mit der Nase im Dreck
und gedacht:
Das ist das Ende, 
nun kann ich nicht wieder aufstehen.

 

Dann hat vielleicht ein Vogel über mir gesungen,
oder ein Kinderlachen ist an mein Herz gedrungen.
Vielleicht hat mich auch jemand zart berührt,
oder ich habe einen Hauch von Frühling gespürt.

 

Dann habe ich vorsichtig
meinen Kopf aus dem Dreck gehoben,
habe tief durchgeatmet
und nach der Hand
eines Vorübergehenden gegriffen.
So bin ich dann langsam
wieder auf die Beine gekommen.

 

Dann habe ich zuerst noch etwas wackelig dagestanden,
und sehr viel Kraft war wohl noch nicht vorhanden.
Die ersten Schritte bin ich noch an einem Stock gegangen,
jedoch nach Leben stand mir da schon das Verlangen.

 

Und nach längerer Zeit,
mit Geduld, Hoffnung und Mut
habe ich dann wieder laufen gelernt.
Und meinen Kopf habe ich
wieder so hoch getragen,
dass mir die Sonne
direkt ins Gesicht scheinen konnte