Ute Latendorf - Dichterin, Schriftstellerin und Fotografin
Ute Latendorf - Dichterin, Schriftstellerin und Fotografin
(c) Ute Latendorf

 

1. Licht

Im Dunkeln sitzen, ängstlich und traurig,

und plötzlich kommt jemand und zündet eine Kerze an,

und die stille Flamme tröstet und wärmt.

 

Im Dunkeln stehen, den Kopf müde gesenkt,

und plötzlich kommt jemand und weist zum Himmel,

und du staunst über die Vielzahl der leuchtenden Sterne.

 

Im Dunkeln liegen, schlaflos die Nacht durchweinen,

und plötzlich kommt jemand und zeigt nach draußen, 

wo über den Dächern die Morgenröte aufsteigt

und den neuen Tag ankündigt.

 

Im Dunkeln gehen, fern von den anderen,

und plötzlich kommt jemand und lädt dich ein

in sein erleuchtetes Haus

und in den Kreis seiner Freunde.

 

2. Es gibt Tage

Es gibt Tage, da kann ich nicht atmen,

nicht aufstehn, nicht sprechen, nicht gehn,

und es nützt nichts, dass ich mich quäle

und versuche, den Grund zu verstehn.

 

Vielleicht ist es einfach das Wetter

oder irgendein ganz schwerer Traum,

es liegt so ein düsteres Brüten

wie Gewitterstimmung im Raum.

 

Kann auch sein, es ist nur mein Schicksal,

das drückt heute bleischwer auf mir,

ich wünschte, ich könnte entrinnen

und wär gern woanders als hier.

 

Mein Gestern hält mich gefangen,

all die Schmerzen, die Angst und die Pein,

es gibt Tage, da kann ich nicht leben

und nicht mutig und hoffnungsvoll sein.

 

Ich ertrage die traurigen Stunden

und gönne mir Stillsein und Ruh,

solche Tage kommen und gehen,

und ich weiß nicht, warum und wozu.

 

3. Das Leben ist zu schwer für mich

Das Leben ist zu schwer für mich,

ich kann es nicht ertragen,

mir fehlt die Kraft, um jeden Tag

das Leben neu zu wagen.

 

Das Leben ist zu groß für mich,

das muss ich einmal sagen,

es bringt mir Schmerzen, Weh und Pein

an vielen dunklen Tagen.

 

Das Leben ist nicht gut für mich.

In allen Lebenslagen

fühl ich nur Schwäche, Angst und Not

und leider nie Behagen.

 

Das Leben ist zu schwer für mich,

birgt mehr als sieben Plagen,

doch weiß ich ja, was ich nicht darf:

aufgeben und verzagen.

 

4. Traurigkeit

Die Schläge, die das Leben an mich austeilt,

hab ich gelernt, nach außen lächelnd einzustecken.

Jedoch - um meinen Mund entstehen Falten,

und meine Augen blicken nicht so klar wie einst.

Die Hoffnung stirbt mit jedem Tag,

und Zuversicht kann ich mir schwer bewahren.

 

Ich wünschte, ich könnte weinen...

 

5. Hausputz

Beim letzten großen Hausputz nahm ich all die

 

Träume

und Wünsche

und Hoffnungen

und Forderungen an das Leben,

 

die in meiner Stube herum saßen

und mich störten,

packte sie in eine Kiste

und stellte sie auf den Dachboden.

 

Manchmal höre ich nachts 

ein Ächzen und Stöhnen unter dem Dach.

Dann kann ich lange Zeit nicht einschlafen.

 

Aber tagsüber habe ich jetzt meine Ruhe.

 

6. Wir sind die Schweren

Ich bin eine von den Schweren, Dunklen, Nächtigen,

die auf dem Grunde des Meeres gehen

und gleichwohl auch immer

den Sternen nahe sind.

 

Ich bin eine von den Flüchtigen, Unsteten, Wechselvollen,

die von Augenblicken leben,

an der Vergangenheit leiden

und keine Zukunft kennen.

 

Ich bin geworfen, verlassen, bin voll Schmerz und Trauer,

mein Gesicht ist durchfurcht,

mein Körper vernarbt.

Das Leben lastet schwer auf meine Seele.

 

Aber mich trägt eine Ahnung von Stunde zu Stunde,

mich erhält ein Traum,

mich erquickt eine Quelle, 

die süßes Wasser hat...

 

7. Die geraden Straßen

Die geraden Straßen sind nicht für mich

und nicht das Licht der Sonne am Tage.

 

Ich  bin eine von den Beladenen,

die einsam des Nachts auf Seitenwegen gehen,

 

voll Angst und Verzweiflung

und doch -

 

erfüllt mit einer unstillbaren Sehnsucht

nach etwas,

mit einer unerklärlichen Ahnung

von dem,

was höher ist als alle Sterne

und tiefer als die Mitte der Erde

und heller, viel heller

als alles, was hell genannt wird...

 

8. Kain und Abel

Wo ist mein Bruder Abel, den ich im Zorn erschlug?

Wo ist mein Bruder Abel, der so viel Segen trug?

 

Mich hat der Herr gezeichnet

und fort aus Seinem Haus geschickt.

Ich bin ein ewig Fliehender geworden,

der manchmal suchend rückwärts blickt.

 

Ich treffe andere Verirrte,

die Gott mit Seinem Zorn bedacht,

und wenn wir uns zusammen finden,

sind wir einander nahe in der Einsamkeit der Nacht.

 

Und wenn wir Gott verfluchen,

suchen wir Ihn noch

und sehn von ferne

manchmal Seine Gesicht...

 

9. Aus der Tiefe

Herr, hörst du mein Weinen,

hörst du mein Schreien in der Nacht?

 

Die Einsamkeit ist groß, und die Angst 

ist wie ein wildes Tier auf meiner Brust.

 

Ich bin schwach, ich bin hilflos,

ich flehe zu Dir: Befreie mich,

töte das Tier Angst!

 

Zeige, dass du größer bist

als alle Angst und alle Einsamkeit

und stärker als das wildeste Tier

auf meiner Brust

und heller, viel heller

als die dunkle Nacht,

aus der ich schreie...

 

10. Ja, Herr, ich glaube

Ja, Herr, ich glaube, dass du große Wunder tust.

Ja, Herr, ich glaube, dass du Wunder tust.

Ich war in der Wüste, wo kein Wasser war,

ich betete und rief nach Dir

und wusste, Du bist nah.

 

Ja, Herr, ich glaube, dass du Wunder tust.

Ich war allein im Dunkeln,

umgeben von Gefahr,

ich betete und rief nach dir

und wusste, du bist nah.

 

Ja, Herr, ich glaube, dass du Wunder tust.

Ich war in der Wildnis, wo kein Weg mehr war,

ich betete und rief nach dir

und wusste, Du bist nah.

 

Ja, Herr, ich glaube, dass du große Wunder tust.

Du lässt in der Wüste eine Wasserquelle springen,

und Du gibst im Dunkeln mir ein Glaubenslied zu singen,

Du stehst an meiner Seite, wo immer ich auch bin

und führst mich aus Verwirrung zum Leben wieder hin.

 

11. Einsam

Wie einsam kann ein langer Tag mir werden,

wie einsam ist die Nacht, die darauf folgt.

Da spüre ich mein Herz und meinen Atem,

und in der Stille bin ich ganz mit mir allein.

Da muss ich lernen, meiner Trauer standzuhalten,

denn meine Sehnsucht wandelt längst vergangene Pfade.

Da will ich fern sein, fern von allen Menschen,

weil ich bei jedem Herzen einsam bleibe.

 

Ich bin schon viel zu weit gegangen,

ich fand so manche Tür verschlossen

und brach so viele Brücken hinter mir entzwei.

Nun bin ich ganz allein und frei

und bei mir selber und weiß nur nicht:

Wie wird mein Morgen sein?

 

12. Neuer Morgen

Ich will nicht in irgendeine Kneipe gehen,

wo Menschen Worte sagen, die nichts nützen.

Ich will allein in einer Kirche sitzen

und spüren, dass die Stille heilsam wirkt.

 

Ich will nicht auf irgendeine Party gehen,

wo jeder unter vielen einsam ist.

Ich will auf einer Bank am Fluss verweilen,

wo man bei Nacht den Tag vergisst.

 

Ich will allein sein und einen neuen Anfang wagen

und nur zu mir von meinen Träumen sprechen.

Ich will nie wieder andere Menschen nach dem Wege fragen.

Ich lebe in der Hoffnung auf den neuen Morgen.

 

13. Leider

Ich wäre gern ein Schmetterling,

zart und hübsch und schwerelos

durch die Lüfte gauckelnd.

 

Aber ich bin nur ein kleines, braunes Erdtierchen,

das sich in einer Höhle verkriecht,

weil es die Sonne fürchtet

und den Anblick von gauckelnden

Schmetterlingen in den Lüften...

 

14. Für meine dunklen Schwestern

Ja, ich komme aus der Tiefe dieser Erde,

wo die schweren, schwarzen Schmerzen wohnen,
und ich träume in den schattenlangen Nächten,
dass ich ein Stern im Glitzerkleider werde.

 

Ja, ich bin in Nacht und Wind geboren,
mich umstanden dreizehn düster-böse Feen,
sie beschenkten mich mit einem Meer von Tränen,
aber eine hat den Zauberstab bei mir verloren.

 

Ja, seit meinem ersten Tag auf Erden
trag ich diesen Stab aus Sehnsucht und aus Fantasie,
und ich zaubere mir meinen eigenen Regenbogen
und die feinsten Elfenflügel, wenn die Füße müde werden.

 

Ja, ich bin inzwischen überall gewesen,
in der Hölle war ich und im Paradies,
doch ich werde erst im Innersten der Erde,
wo mein Ursprung ist, zur Ruhe kommen und genesen.

 

15. Im Gefängnis
In dem Gefängnis
meines Heute
lebe ich
von den Erinnerungen
an gestern
und den Hoffnungen

auf morgen. 

 

16. Unnennbar
Was mache ich
mit der Wut
und der Verbitterung?

Die Steine,
die ich werfe,
treffen immer
mein eigenes Herz.

 

17. Viele Menschen sind wie ich

Viel Menschen sind wie ich,
die ängstigen sich fürchterlich,
sind fremd in dieser harten Welt
und ganz auf sich allein gestellt.

 

Die anderen tanzen und sind froh,
wir wünschen uns das ebenso,
doch wir sind müd und wir sind lahm,
verstecken uns in Furcht und Gram.


Wir stehen abseits und schaun zu
und finden nicht den Weg zum Du.
Und keiner ruft und lädt uns ein,
wir werden immer einsam sein.


Wir fühlen Mauern um uns her,
die Last des Lebens ist zu schwer,
wir wissen nicht, woher, wohin
und sehn im Leben keinen Sinn.

 

Ach, Gott, du weißt, dass es uns gibt,
wir sind nicht klug und nicht beliebt,
schenk Hoffnung uns und zeig, wir sind
ein jeder doch Dein Gottes Kind.